Wenn sich die Finger besser an den Patienten oder die Patientin erinnern als der Kopf, dann hat man den richtigen Job. Lisa Bube ist Physiotherapeutin und berichtet in diesem #AroundTheWork von den Freuden und Leiden ihres Berufs.
Es ist ein bewölkter, aber trockener Tag. Vom Bus sind es noch ca. 200 Meter zu Fuß, am Bioladen vorbei zur Physiopraxis in Hamburg Schnelsen. Hier arbeitet Lisa Bube als Praxisleitung und Physiotherapeutin. Im schmalen Eingangsbereich befindet sich der Empfangstresen, hinter dem Lisa mit einem breiten und freundlichen Lächeln steht. Es ist Freitagnachmittag, die Praxis hat bereits geschlossen und Lisa Feierabend.
Traumjob Physiotherapeutin
„Ich wusste schon mit elf Jahren, dass ich Physiotherapeutin werden wollte“, sagt Lisa. Heute ist sie 30 Jahre alt und arbeitet bereits seit sieben Jahren in dem Beruf. Für ihre Arbeit bekomme sie viel positives Feedback und besonders gefällt ihr die Abwechslung: „Ich liebe es Menschen zu helfen.“ Vor allem die Vielfalt an Patienten motiviert Lisa immer aufs neue. Sie sieht Kinder aufwachsen und begleitet ältere Patienten beim Sterben. Ihre jüngste Patientin ist vier und die älteste ist gerade 104 Jahre alt geworden. Das seien besondere Beziehungen, die teilweise schon über fünf Jahre bestehen. Auch in der Freizeit ist sie Physiotherapeutin mit Leib und Seele, da werden Freunde und Familie schon mal auf einen unrunden Gang oder eine schlechte Sitzhaltung hingewiesen.
Für ihre dreijährige Ausbildung zahlte Lisa fast 12.000 Euro. Jetzt verdient sie 1.635 Euro Netto im Monat. „Man bezahlt in der Ausbildung dafür, dass man arbeiten darf“, sagt sie und schüttelt dabei den Kopf. Das Problem liege vor allem an der Entstehung des Berufs. Die Krankengymnastik kam nach dem ersten Weltkrieg auf und war ein helfender Beruf für Frauen aus gutem Hause. Frauen haben zu der Zeit gelernt, Ärzte zu unterstützen und mit den Kriegsverletzten Übungen zu machen, damit sie wieder alltagstauglich werden, beispielsweise mit Kraftaufbau. „Von Seiten der Ärzte sind wir nie über diesen Teil rausgekommen. Es gibt immer noch die Einstellung von Ärzten, dass wir nur Übungen machen.“ Und weil es damals nur Frauen aus gutem Hause erlaubt war, wurde mit dem Schulgeld der Standard hochgehalten. Zum Glück haben viele Bundesländer das Problem auf ihrer Agenda, so soll zum Beispiel in Hamburg ab Beginn des Schuljahres 2019 das Schulgeld für therapeutische Berufe wegfallen.
Die Schattenseiten des Traumjobs
Mittlerweile leitet Lisa die Praxis. Neben ihren Aufgaben als Physiotherapeutin und der Betreuung von Patienten, gehören damit auch die Abrechnungen der Rezepte und die Einsatzplanung zu ihren Aufgaben. Immer öfter ist sie dadurch frustriert. Die zusätzlichen Aufgaben kosten Lisa nicht nur viel Zeit in Form von Überstunden, sondern auch Nerven. Da die Zusammenarbeit mit Ärzten und Krankenkassen sich oft schwierig gestalte, wenn Rezepte nachträglich geändert oder zunächst von den Krankenkassen freigegeben werden müssen. Verständnislos sagt sie: „Eigentlich will man ja das Gleiche und zwar, dass es dem Patienten besser geht.“ Im schlimmsten Fall bleibe dann die Praxis sogar auf den Kosten sitzen.
Da steht niemand auf und geht auf die Straße und fordert eine bessere Vergütung für das, was wir leisten.
Ärzte könnten Lisas Meinung nach ein wesentlich leichteres Leben haben, wenn Physiotherapeuten die Erstdiagnose bei leichten Fällen wie Hexenschuss oder Umknicktrauma erlaubt wäre. Holland sei Deutschland in dem Punkt voraus, dort gebe es ein Ampelsystem. „Patienten werden von einem Therapeuten untersucht. Bei Grün ist alles ok und Krankengymnastik reicht aus, bei Gelb darf der Physiotherapeut anfangen zu behandeln, aber ein Arzt muss noch einmal drüber gucken und Rot heißt, dass nichts gemacht wird, bis eine Diagnose vom Arzt da ist, das könnten Fälle wie zum Beispiel ein Bandscheibenvorfall sein.“
Eine andere Hoffnung, die Lisa immer noch hat, ist dass sich ein Verband mal wirklich für die Interessen von Physiotherapeuten stark macht. Das Problem sieht Lisa in den Menschentypen, die diesen Beruf ausüben, diese seien überwiegend sehr sozial. „Da steht niemand auf und geht auf die Straße und fordert eine bessere Vergütung für das, was wir leisten.“ Dabei ist sie sich sicher, dass sie das verdient hätten und ergänzt kopfschüttelnd: „Wir akzeptieren einfach viel zu viel.“
Optimistisch in die Zukunft
Bisher habe Lisa erst eine Kollegin erlebt, die bis zur Rente aktive Physiotherapeutin war. Die meisten machen im Laufe der Zeit etwas anderes oder schulen noch mal um. Das liege auch an den geringen Aufstiegschancen. Bis zur Rente dauert es aber noch 35 bis 40 Jahre. Lisas Notfallplan sieht vor, irgendwann in ein Rehazentrum oder in ein Krankenhaus zu gehen, das sei körperlich weniger anstrengend als Krankengymnastik in der Praxis, aber eben auch langweiliger. Könnte Lisa noch mal neu in das Berufsleben starten, würde sie wohl versuchen nicht so naiv an den Job ranzugehen, „und dann alles nochmal genauso machen“, sie lacht sarkastisch, während sie das sagt.
Für die Zukunft wünscht sie sich die Praxisleitung wieder abzugeben, „das kann einen gar nicht glücklich machen“, und zudem irgendwann nur noch Teilzeit zu arbeiten, damit der Druck rauskommt. Dass ihre Arbeit mal von Maschinen gemacht wird, glaubt sie nicht. Denn wenn man zum Beispiel die Patientenkartei mal nicht richtig ausgefüllt hat, passiert es schon, dass sie vor einem Patienten steht und keine Ahnung mehr hat, was sie gemacht hat. „Wenn ich dann aber das Gewebe in der Hand habe, dann erinnern sich meine Finger für mich daran. Sie fühlen wo das Problem ist. Das kann einfach keine Maschine.“
Und auch, dass sie mal nichts mehr zu tun haben könnte, ist für sie undenkbar. „Wenn man auf jetzige Kinder und Jugendliche blickt und die weiter steigende Zahl der sitzenden Tätigkeiten, werde ich niemals arbeitslos.“
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