„Geh arbeiten!“ schreibt er auf seine Autogrammkarten und rappt Songzeilen wie: „Ich bin fest angestellt aus Angst vor meinem eigenen Leben“: Hartmann ist ein Arbeitsrapper. Warum Arbeit sein großes Thema ist, sie sich wie Meditation anfühlen kann und was sein Chef zu seinen Songs sagt. Ein Interview. 

„Mein Arbeitgeber zahlt Mindestlohn
doch für meinen Videodreh wird das wohl leider nicht reichen
Freizeit ist mir völlig scheißegal
Ich will mehr Arbeit aufschreiben, aufschreiben, aufschreiben“
(aus Hartmanns Songs „Mi Maestro“)

Hartmann, der im echten Leben eigentlich Frank Hartmann heißt und aus einem kleinen Dresdner Vorort stammt, zog es vor Kurzem nach Leipzig. „Eigentlich absurd, weil sich mein Arbeitsweg nun verlängert hat. Aber ich habe da so einen tollen Freundeskreis“, erzählt er. „Es geht eben nicht immer nur um Arbeit.“ Außer in seiner Musik: Gehälter, Überstunden, Frühschichten, Chefs, Arbeitnehmer – das sind Hartmanns Themen. Anfang 2018 begleiteten er und Gossenboss mit Zett die Anarchie-und-Alltag-Tour der Antilopen Gang, im Herbst war Hartmann Vorband auf der Danger-Dan-Tour.

Arbeit ist dein großes Thema als Rapper, das ist ja schon ungewöhnlich. Wie bist du darauf gekommen?
Das war ein sehr langer Entwicklungsprozess. Als ich angefangen habe, Musik zu machen, habe ich noch ganz andere Sache gehört. Die wollte ich dann auch erstmal kopieren. Aber irgendwann habe ich gemerkt: „Ich will mir gar kein Image ausdenken und versuchen das dann auszufüllen.“ Den Straßenrapper, der Kokain verkauft, könnte ich auch rappen. Das würde mir nur keiner glauben. Ich will über das Musik machen, was mich betrifft.

Und das ist das Thema Arbeit?
Das Thema betrifft und beschäftigt doch so gut wie alle Menschen, ob nun jemand einen Job hat oder nicht. Das ist die größte Schnittmenge. Es ist fast egal, was man für eine politische Einstellung hat, über das Thema Arbeit kann man sich verständigen und austauschen. Am Ende kann man alles, was einem im Leben passiert, auch auf das Arbeitsleben runterbrechen.

Viele Freunde haben sich anstecken lassen und rappen jetzt auch über die Arbeit

Das klingt philosophisch. Bekommst du denn manchmal von Fans auch die Rückmeldung: „Rapp mal mehr über Titten und schnelle Autos! Nerv uns nicht mit dem Arbeitsthema, ich hab jetzt frei“?
Im Gegenteil, viele kommen zu mir und sagen: „Ich fühle das total, ich gehe ja auch arbeiten.“ Zum Glück gibt es von den anderen nicht so viele. Ich bin ein Mann des einfachen Lebens, wenn die Miete bezahlt und der Kühlschrank gefüllt ist, bin ich zufrieden. Ich brauche keine Statussymbole. Das Gute ist: Davon gibt es auch noch genug andere Leute. Wenn ich die mit meiner Musik anspreche, bin ich glücklich.

Das klingt sehr simpel.
Ja. Ich fahre zum Beispiel einen Opel Combo und rappe darüber auch. Wer also auf geile Autos als Statussymbol steht, hört meine und auch die Musik von Danger Dan, mit dem ich gerade toure, eher nicht. Was aber schön ist: Viele Freunde haben sich von mir anstecken lassen. Die rappen jetzt auch über die Arbeit. Das ist eigentlich das größte Lob.

Du hast verschiedene Themen in deinen Songs: Vom Mindestlohn, über den Wecker als Uhrensohn, bis hin zum Arbeitgeber-Arbeitnehmerverhältnis. Dabei ist interessant, dass du nicht nur Arbeitgeber, sondern auch Arbeitnehmer in die Mangel nimmst.
Man hat als Arbeitnehmer ja nicht nur Nachteile, man bekommt pünktlich sein Gehalt und hat Sicherheiten. Dafür muss man eben auch andere Dinge in Kauf nehmen. Aber klar verknechtet man sich. Wenn man dafür dann aber nette Kollegen und einen guten Arbeitsplatz hat, fühlt es sich ja gar nicht wie verknechten an.

„Stumpfe Arbeit macht mich kreativ“ rappst du in deinem Song „Schichtleiterblues“. Ist das so?
Wenn du wie ich am Fließband stehst und acht Stunden einen Job machst, der deinen Kopf nicht fordert, dann hast du die Möglichkeit mit deinem Kopf an ganz andere Orte zu gehen. Und dann denke ich über Textzeilen nach. Das ist wie Meditation.

Was ist das für ein Job, den du neben deiner Musik machst?
Ich bin ausgebildeter Buchbinder, industrielle Druckfertigung. Das heißt wirklich Fließbandarbeit: Du stehst deine neun bis 12 Stunden in der Produktion. Seit fünf Jahren bin ich Textilsiebdrucker.

Johanna im Interview mit Hartmann. Foto: Johanna Röhr
Johanna im Skype-Interview mit Hartmann. Foto: Johanna Röhr

Hast du denn Bock auf die Arbeit?
Ja, voll. Am Ende stehe ich mit meinem Namen für meine Arbeit, wenn ich meinen Job scheiße mache, dann bin ich auch unzufrieden. Deswegen hänge ich mich rein und dann macht es auch Spaß.

Ich habe oft eher das Gefühl, wer nicht gestresst und genervt ist von der Arbeit, der arbeitet nicht richtig. Spaß ist oft sekundär.
Das ist definitiv ein Symptom unserer Leistungsgesellschaft. Und viele ändern an ihrer Situation nichts.

Es ist auch nicht alles schlecht auf Arbeit

Was denkst du, warum nicht?
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Er braucht oft sehr lange, um zu merken, dass er in einer Situation unglücklich ist und dann nochmal mindestens genauso lange, um die Situation zu ändern. Gleichzeitig, und das ist vielleicht ein sehr ostdeutscher Spruch, aber ich finde er trifft schon zu: Es ist auch nicht alles schlecht auf Arbeit.

Wenn man deine Musik hört, klingt es eher nach: Scheiß auf Arbeit, wir müssen alle viel mehr chillen. Gleichzeitig sagst du, du hast Lust auf die Arbeit und es sei auch nicht alles schlecht. Wie passt das zusammen?
Wenn ich Autogramme gebe, schreibe ich immer noch einen kleinen Zusatz drauf: Geh Arbeiten! Mit Smiley natürlich. 😉 Wenn man also von meiner Musik als Gesamtkunstwerk ausgehen will, merkt man, dass das Thema Arbeit eine Hassliebe ist. Ich will, dass mein Kühlschrank gefüllt ist, ich meine Miete zahlen kann und ich brauche den Job, um meine Musik machen zu können. Aber manchmal nervt es natürlich auch…

…“geh Arbeiten“ schreibst du also auf deine Autogrammkarten.
Ja, Menschen sollten schon arbeiten gehen, finde ich. Aber mit Verallgemeinerungen muss man vorsichtig sein, sie sind in Einzelfällen immer falsch. Und wichtig ist eben, dass man gerecht entlohnt wird und faire Bedingungen vorfindet. Friseure sind das beste Beispiel. Jeder will einen ordentlichen Haarschnitt, aber keiner will Geld dafür bezahlen. Nur ich zähle da nicht mehr dazu. (lacht)

Apropos gerechte Entlohnung – kennt dein Chef eigentlich deine Musik? Wie findet der die so?
(lacht) Ich habe da ja dieses eine Lied, in dem ich rappe, dass mir mein Arbeitgeber nur Mindestlohn zahlt (Anm.d.Red.: „Mi Maestro“). Darüber habe ich dann mal mit ihm gesprochen, weil ich natürlich mehr als nur den Mindestlohn bekomme und mir schon wichtig ist, dass er das nicht missversteht. Aber der geht damit ganz locker um und unterstützt mich da sehr.

Nehmen wir mal an, du wirst so erfolgreich als Rapper, dass du deinen Schicht-Job nicht mehr brauchst. Fehlt dir dann nicht dein Thema?
(lacht) Dann rappe ich darüber, dass ich nicht mehr arbeiten muss. Nein, es stimmt tatsächlich, ich habe mir darüber auch schon Gedanken gemacht: Was wäre wenn ich plötzlich arbeitslos bin, dann kann ich nicht mehr über die Arbeit rappen. Gleichzeitig ist es natürlich so, dass zwar viele Inhalte aus meinem privaten Leben kommen, aber es ist faktisch nicht alles so.

Als Künstler ist das ja nochmal eine besondere „Arbeitssituation“. Man geht dem nach, was man liebt, aber für viele ist es dann finanziell schwierig. Wenn du mit Danger Dan und der Antilopen Gang unterwegs bist oder ihr in der Garderobe sitzt, ist das dann auch mal Thema?
Da ist es auch Thema, ja. Aber meistens geht es dann nicht um richtig konkrete Sachen wie Weihnachtsgeld oder Arbeitszeiten. Es geht eher um Gerechtigkeit im Allgemeinen. Danger Dan zum Beispiel rappt in seinem Song „Die Grundvoraussetzung“ von sich als Taugenichts und dass er noch nie ehrenvoll arbeiten war. Ich finde das witzig, weil wir da sehr konträr sind. Ich bin im Schichtbetrieb seit ich 18 Jahre alt bin, Wochenendarbeit, sieben Tage rollende Woche. Ich brauche das, um frei zu sein und meine Musik machen zu können, das ist mein Antrieb.

Das Menschliche geht total flöten

Was stört dich an der Arbeitswelt von heute am meisten?
In einem großen Betrieb, in dem ich mal war, da galt das Prinzip: hohe Fluktuation. Sie meinten, so bleiben die Gehälter niedrig. In dem Betrieb gab es noch dazu Leitungsgehälter. Hört sich erstmal ganz gut an, also, dass man für seine Leistung auch belohnt wird. Aber das Menschliche geht total flöten. Wenn du zehn Leute hast, die sich dann die lukrativsten Jobs raussuchen, dann geht ein Kampf untereinander los. Das ist die falsche Richtung.

Es gibt auch Leute, die eine hohe soziale Kompetenz haben, andere motivieren können und das Team zusammenhalten, aber selber vielleicht nicht am effektivsten arbeiten. Das sind dann Faktoren, die man gar nicht messen kann
Ja, es funktioniert nur, wenn es eben nicht immer nur um Zahlen geht. Ich bin großer Stromberg-Fan und in einer Folge wird mal gesagt: „Ich kenne keine Namen, ich kenne nur Zahlen“. Ich glaube, von diesen Leuten gibt es in der Arbeitswelt mehr als genug, vermutlich ist das erschreckenderweise Realität.

Machst du dir auch Gedanken über die Zukunft deiner Arbeit?
Klar. Ich hoffe natürlich, dass Handarbeit in naher Zukunft nicht komplett von Maschinen gemacht wird. Sonst wird es mit meinem Job schwer.

Klingt sorgenvoll.
Nein, eigentlich nicht. Ich weiß, dass ich einen guten Job mache. Deswegen weiß ich, dass ein Arbeitgeber, der gute Leute sucht, mit mir auch fündig wird. Ich hoffe, das klingt nicht zu eingebildet. Aber ich denke, man muss einen Job finden, den man gerne macht. Einen Job, mit dem ich mich nur halbherzig identifizieren kann, kann ich auch nicht gut machen. 

Hier findet ihr Hartmann auf Facebook, Spotify und auf Instagram.

Titelbild: Sascha Niethammer 

Arbeitsrapper Hartmann bei einem Konzert in Hamburg. Foto: Sascha Niethammer
Arbeitsrapper Hartmann bei einem Konzert in Hamburg. Foto: Sascha Niethammer
Johanna Röhr
Johanna arbeitet im Social-Media-Team von Spiegel Online und ist Dozentin für Rhetorik an der Uni Passau, hat aber auch schon als Stadionmoderatorin der Frauenmannschaft des FC Bayern gearbeitet. Zudem ist sie Autorin eines Münchner Stadtführers. Was sie liebt: Roger Federer, Federweißer, Federball – und federleichte Alliteration (so sorry). Was sie hasst: nachdenkliche Sprüche auf Sonnenuntergangsbildern.

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