In unserer Serie „Around The Work“ stellen wir Menschen und ihre Berufe vor. Dieses Mal: Karen. Trotz Mathematikstudium ist sie heute Museumsassistentin und Künstlerin. Sie hat uns erzählt, wie man den Mut findet, das zu tun, was einen erfüllt. Und was für sie die größte Schande ist.

Mehrere gelbe Taxis halten vor dem Chelsea Market, Personen steigen aus und andere wieder ein, dann beginnt die nächste Fahrt. Lautes Hupen ertönt von vorbeifahrenden Autos. Wir stehen ganz am Rand des belebten Bürgersteigs vor dem Gebäude, das einst eine Keksfabrik war. An diesem Ort wurden auch die berühmten Oreo-Kekse erfunden. Vor dem Eingang treffen wir Karen. Sie strahlt, als sie uns entgegen kommt und umarmt uns herzlich.

„Über Kunst spricht man Face-to-Face“

Für heute war Regen angekündigt, trotzdem scheint die Sonne. Wie so oft in New York. Deshalb holen wir uns im Chelsea Market bloß schnell einen Kaffee und gehen zum Aufgang der High Line. Karen erzählt begeistert von der Sightseeing-Attraktion, die erst Ende 2014 eröffnet wurde. Sie freut sich, neben dem Central Park noch eine weitere grüne Oase in der ansonsten von Beton geprägten Stadt zu haben. „Eine Bürgerinitiative konnte dieses Projekt Realität werden lassen, ansonsten wären die alten Bahntrassen abgerissen worden. Stattdessen haben wir jetzt eine wundervolle Parkanlage“. 

 

Kunst faszinierte Karen schon immer. Dennoch studierte sie zunächst Mathematik und hatte Kunst als Nebenfach. Nach dem Studium reiste sie viel und blieb möglichst lange an einem Ort, nur so lerne man die Kulturen richtig kennen. 2017 fing sie in Italien einen Job als Kunstverkäuferin an. Dort arbeitete sie auch mit StudentInnen und lernte, wie wichtig der persönliche Austausch ist. „Über Kunst spricht man Face-to-Face“, sagt sie. Die Kunst mache sie noch glücklicher als die Mathematik und deshalb entschied sie sich dazu, dabei zu bleiben. Heute ist sie Museumsassistentin im Metropolitan Museum of Art in New York und selbst Künstlerin.

„Too much Future“

Digitalisierung spielt auch in Museen eine große Rolle. Es werden bereits virtuelle Touren angeboten, hier in New York zum Beispiel im Museum of Modern Art. Der nächste Schritt seien Roboter, die häufig gestellte Fragen beantworten. Wir sitzen mittlerweile auf einer Bank der High Line und blicken auf ein schwarz-weißes Plakat auf dem „Too much Future“ steht. Irgendwie passend. 

"Too much Future"
Plakat „Too much Future“ Foto: Johanna Felde

Sie selbst hat aber wenig Angst davor, durch diese Entwicklungen ihre Arbeit zu verlieren. Vielmehr stört es sie, dass der persönliche Kontakt entfällt. „Wie würde unsere Welt aussehen, wenn das die zukünftige Form der Interaktion wäre?“ fragt sie. Bei Gesprächen über Kunst gehe es doch um die Diskussion der Gefühle und Emotionen, die in der Kunst verborgen sind. Roboter können das nicht ersetzen und lediglich Antworten auf häufig gestellte Fragen wiedergeben.

Doch nicht nur die Gefahr, in Zukunft „ersetzt“ zu werden, beschäftigt Karen gerade. Finanzielle Kürzungen, weil die Kunstförderung für die Politik zur Zeit keine große Rolle spielt, sorgen aktuell für schlechte Stimmung in der Branche und führen zur Einführung von Eintrittspreisen in Museen, die bisher kostenlos waren.

Hier regiert der Stress!

Manchmal hat man eben diesen einen Traumjob. Aber es reicht am Ende nicht, um die Rechnungen zu bezahlen. Dann müsse man eben zwei Jobs machen. „Viele meiner Künstlerfreunde arbeiten an ein paar Abenden in der Woche in Bars, um sich die Arbeit zu finanzieren, für die sie eigentlich brennen.“

Während ihrer Zeit in Venedig, beobachtete sie eine völlig andere Arbeitseinstellung. In Italien hätten Tradition und Sicherheit noch einen höheren Stellenwert. Dort gebe es eine gesündere Balance zwischen Arbeit und Freizeit. Es wird zusammen gegessen, es gibt klare Arbeitszeiten und einen festgelegten Feierabend. Nicht wie hier in New York. „Hier regiert der Stress! Viele arbeiten so viel, dass sie gar keine Zeit für die Dinge haben, die diese Stadt zu bieten hat.“ Dafür seien Karrierewege in New York auch nicht so „gerade“ und einem stünden mehr Möglichkeiten offen. 

Erfrischend positiv und optimistisch beschreibt Karen, wie wichtig es ist, leidenschaftlich zu sein. „Ich kenne welche, die den ganzen Tag vor ihren Computern sitzen und das lieben.“ Es ärgert Karen, wenn andere zu ihr sagen: „Ich wünschte, ich könnte sowas machen wie du: reisen und malen.“ Dann antwortet sie immer „Dann mach es doch, du kannst es schaffen.“

Der einzige Unterschied zwischen diesen Leuten und ihr sei bloß die Angst. Manchmal müsse man sich einfach trauen. „Und ist das nicht die größte Schande? Wenn Menschen sich selbst daran hindern, großartig zu sein?“

Titelbild: Johanna Röhr

Ines Timm
Ines schreibt ihre Masterthesis zum Thema New Work und Change Kommunikation. Sie arbeitete in unterschiedlichen Werbeagenturen, unter anderem bei Scholz & Friends, und betreute Kampagnen für Kunden wie Siemens oder das Bundesverkehrsministerium. Zuletzt unterstützte sie in ihrem Hochschulprojekt den Greenpeace e.V. im Digital Campaigning und arbeitet nebenbei als freie Kommunikationsberaterin für kleinere Unternehmen.