Leben und Arbeiten an einem Ort, so könnte man Co-Living ganz knapp zusammenfassen. Während unseres Projekts in New York City durften wir für zwei Monate im WeLive, einem Co-Living Space von WeWork, leben und arbeiten. Wie es uns gefallen hat? Unser Fazit fällt anders aus, als wir zu Beginn erwartet hätten.
Co-Living, ein Begriff der bis jetzt ohne klare Definition auskommt, wird aktuell von dem erfolgreichen Start-Up WeWork als Konzept der Zukunft vermarktet. Der Kerngedanke ist die Gemeinsamkeit. “Wir” klingt ja auch irgendwie cool und hip, aber ist es für jeden geeignet?
Als wir zum ersten Mal auf das WeLive aufmerksam wurden, waren wir begeistert. Das Angebot: Modern möblierte Zimmer mit Soundsystem in Bad und Wohnzimmer, eine Community, kostenlose Sportkurse und gemeinsame Veranstaltungen. Je mehr wir über das WeLive gelesen und gehört haben, desto größer wurde unsere Vorfreude. Am 30. April kamen wir endlich mit unseren Koffern in New York City an und durften in unser stylisches Apartment in der Wall Street einziehen.
Zwei Monate sind nun vergangen. Wir lernten tolle und inspirierende Menschen kennen, wurden von Mitbewohnern bekocht und spielten im Waschraum Tischtennis. Aber wir waren auch mal genervt, es fehlten Rückzugsorte und mussten frustriert feststellen, dass die Definition von Sauberkeit auch hier sehr variiert. Wir ziehen unsere persönliche Bilanz.
So war es für uns im WeLive:
Ines Timm:
WeLive ist nicht gleich WeWork. Wir haben hier keine Schreibtische oder gar ein Büro. Wir arbeiten, wo wir leben: auf der Terrasse, dem Sofa, in der Gemeinschaftsküche oder auf dem Bett. Es ist ein komisches Gefühl, wenn der Ort, an dem man schläft, auch gleichzeitig der Arbeitsplatz ist. Vor allem zu dritt auf so engem Raum, für eine längere Zeit ist das schon eine Herausforderung. Wir sind dadurch definitiv alle noch bessere Kommunikatoren geworden. Denn es gibt einfach keinen Raum, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Dabei sind Konflikte keine schlechte Sache, oftmals haben sie uns weiter gebracht und wir haben nach einem Gespräch ein besseres Verständnis füreinander entwickelt. Das wiederum hat dazu geführt, dass wir besser und effizienter an Schichtwechsel.blog arbeiten konnten. Das WeLive und die enge Zusammenarbeit, die wir haben, war die Basis für den Erfolg von Schichtwechsel.blog. Auf Dauer würde ich jedoch in der Form nicht leben und arbeiten wollen. Eine räumliche Trennung von Arbeit und Privatleben ist meiner Meinung nach sinnvoller.
Johanna Felde:
Wir wohnen im 23. Stock mit Ausblick auf den East River, schreiben Artikel auf dem extrem bequemen Sofa in der Media Lounge im 17., machen Yoga im Flexstudio 16 Stockwerke tiefer und gehen danach zur Happy Hour an der Bar wieder drei Etagen nach oben. Kurz gesagt: Es ist tatsächlich schon vorgekommen, dass wir das WeLive den ganzen Tag nicht verlassen haben. Und das schockiert mich echt. Denn, so toll ich die Zeit im WeLive auch finde (ehrlich!), hier zu leben hat oft schon etwas von einer Blase, in der man sich befindet. Wir treffen auf dem Flur von 300 BewohnerInnen immer nur dieselben zehn Leute, die zufällig auch noch ein ähnliches Mindset haben wie wir. Natürlich hat es auch viele Vorteile, dass Privatleben und Freizeitgestaltung an einem Ort stattfinden können. Dienstags gibt es im Club im Keller z.B. eine Comedy-Night. Und wenn man zum Sport machen nur kurz die Klamotten wechseln und mit dem Fahrstuhl runterfahren muss, fehlen einem einfach die guten Ausreden. Deshalb: Auf Dauer hier wohnen nein, für kürzere Zeiträume super gerne.
Johanna Röhr:
Selbstdisziplin ist für mich eine der entscheidenden Disziplinen der Zukunft. Und zwar nicht nur im Sinne von: Setz dich mal hin und arbeite. Sondern auch im Sinne von: Setz dich mal hin und mach frei. In Zeiten der Digitalisierung, HomeOffice und Dienstreisen ist das nicht immer leicht. Schnell nochmal vor dem Schlafengehen die Arbeitsmails checken oder den Kollegen aus dem Urlaub via Facebook interessante Links schicken. Im WeLive muss man die eigene Selbstdisziplin dann nochmal auf ein höheres Level heben: Wir wohnen, leben, feiern, sporteln, kochen, treffen Freunde und arbeiten in einem Gebäude. Wie soll man da noch zwischen Arbeit und Freizeit trennen? Kann man noch trennen? Will man überhaupt noch trennen? Ist es gut, oder eher nicht so gut, dass sich die Arbeit auf der Dachterrasse so gar nicht nach Arbeit anfühlt? Ich weiß es nicht. Meine wunderbare Zeit hier im WeLive hat es zumindest geschafft, dass ich mir zu genau diesen Fragen Gedanken mache. Und in Zukunft hoffentlich Antworten finde.
Titelbild: Johanna Röhr
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