WeWork ist eines der erfolgreichsten Start Ups der Welt. Seit zwei Jahren mischen sie nicht mehr nur die Arbeitswelt auf, sondern mit dem Co-Living-Konzept WeLive auch den Wohnungsmarkt. Wir leben in einem der stylischen Apartments und fragen uns: Ist Co-Living wirklich DAS Konzept der Zukunft?

Hätten wir drei damit gerechnet, dass wir einmal in New York leben werden? Im angesagten Co-Living-Space WeLive? Nein. Direkt auf der Wall Street, nur 500 Meter von der Börse entfernt? Niemals. Das WeLive-Gebäude liegt im Bankenviertel von Manhattan, das bei weitem nicht an den gemütlichen Charme von Greenwich oder Williamsburg rankommt. Trotzdem werden hier immer mehr Büroflächen in Wohnungen umfunktioniert. Genau das ist vor zwei Jahren auch mit dem Gebäude in der 110 Wall Street passiert, in dem sich seither das WeLive befindet, in dem wir wohnen. Betrieben wird das Co-Living-Space von WeWork, einem amerikanischen Unternehmen, das seit 2010 weltweit Co-Working-Flächen vermietet. Also Arbeitsplätze, die man stunden- oder tageweise mieten kann. Das läuft so erfolgreich, dass das Unternehmen inzwischen mit 20 Milliarden Dollar bewertet wird. Neben Uber, Airbnb und Space X zählt WeWork damit zu den wertvollsten Start-Ups weltweit.

„WeLive könnte langfristig noch besser funktionieren als WeWork.“

Mit ihrem Co-Living-Konzept steht WeWork allerdings noch am Anfang. Auf 20 Stockwerken werden 200 voll möblierte Apartments vermietet, die tage- oder monatsweise gemietet werden können. Die BewohnerInnen einer Einheit teilen sich Küche, Bad und Wohnzimmer. Es sei denn, man hat eines der Studios für sich allein gemietet. Die Mieten sind noch höher als in den umliegenden Gebäuden, eigentlich kaum vorstellbar. WeLive wirbt aber damit, dass man mehr bekommt, als üblich: Eine große Gemeinschaftsküche, Terrasse mit Whirlpool, ein Sportstudio, in dem täglich mindestens zwei Kurse angeboten werden, monatliche Grundreinigung und einen Waschraum. Letzteres klingt für uns Deutsche vielleicht nicht nach Luxus, ist es aber. In den USA sind Wohnungen nämlich nur selten mit einem Anschluss für die Waschmaschine ausgestattet. Zur Zeit gibt es WeLive nur in Washington D.C. und in New York City. Weitere sind jedoch schon in Planung, erzählte uns Parker Lieberman, Director of Community Strategy bei WeWork.“Es ist ein anderes Businessmodell als WeWork, aber wir sind uns sicher, dass WeLive langfristig sogar noch besser funktionieren könnte als WeWork“, so Lieberman. 2020 soll das nächste WeLive in Seattle eröffnen. 

Teilen ist besser als besitzen

Ist Co-Living wirklich das Konzept der Zukunft? Werden wir in 20 Jahren alle so leben? Mehr als vorstellbar, wenn man sich das wachsende Problem „Wohnraum“ in beinahe jeder größeren Stadt der Welt anguckt. Hohe Mieten, leerstehende Wohnungen im Besitz von ausländischen Investoren, wenige Flächen für neue Wohnprojekte. In New York liegt eine Lösung in der Höhe, allerdings nicht im Preis. Die Nachfrage und die Zahlungsbereitschaft scheinen unbegrenzt. Für eine Dreizimmerwohnung in einem der unteren Stockwerke im neuen Wolkenkratzer des Architekten Rafael Viñoly zahlt man 17 Millionen Dollar. Nochmal: 17 Millionen Dollar!

Für die horrenden Preise und den gleichzeitig knappen Wohnraum könnte das WeLive-Konzept eine Lösung sein. Wenn auch keine neue. Das Sharing-Prinzip ist schon seit ein paar Jahren Thema. Anstatt das ganze Geld in Eigentum zu investieren, werden beispielsweise Autos, Werkzeuge, Bücher, Haustiere oder auch Kleidung geteilt. Auch Airbnb ist aus diesem Gedanken heraus entstanden. Warum soll meine Wohnung leer stehen, wenn ich im Urlaub bin? Im WeLive ist das ähnlich: Gemeinschaftsküchen, Gemeinschaftsterrassen, Gemeinschaftskaffee, Gemeinschaftsarbeitsplatz – beinahe alles wird im Co-Living geteilt und so Platz und Geld gespart.

Live better together

Das eigentliche Ziel von WeLive ist allerdings nicht, den Menschen beim Geld sparen zu unterstützen. Immerhin kostet hier ein Dreizimmer-Apartment knapp 8.000 Dollar. Ja, pro Monat. Das Hauptziel ist also ein anderes. Der eigentliche Plan ist das „We“ im WeLive, also die Gemeinschaft. Ihr Slogan: „Live better together.“ Durch die Globalisierung können und müssen Menschen immer mobiler und flexibler werden. Mal schnell für ein paar Meetings nach New York, eine Firmenzentrale in Buenos Aires, eine Partnerin in Shanghai. Die Möglichkeiten sind grenzenlos, jeder kann sich selbst verwirklichen, fühlt sich als einzigartiges Individuum. Gleichzeitig ist der Mensch ein Herdentier. Er braucht ein soziales Konstrukt um sich. Und das ist in Zeiten, in denen man auch mal tausende Kilometer von der Familie oder den besten Freunden getrennt ist, gar nicht so einfach. Genau hier setzt das WeLive an.

Es zählt der Zusammenhalt, das Netzwerken, der Austausch

Bewohner sollen in allen öffentlichen Räumen des WeLive-Gebäudes miteinander verknüpft werden. Im Waschraum stehen nicht nur stylisch verchromte Waschmaschinen und Trockner, sondern auch eine Tischtennisplatte, ein Billardtisch und verschiedene Spielautomaten. Im Fitnessraum gibt es nicht nur Sportmatten und Hanteln, sondern auch eine große Leinwand, auf der Filme geguckt werden können. In der großen Gemeinschaftsküche gibt es neben kleinen Tischen, auch eine lange Tafel, auf der jeden Montag kostenloses Frühstück für alle steht. Kostenlos ist hier sowieso einiges: Zeitschriften, Kaffee, Fruchtwasser – natürlich alles nur in den Gemeinschaftsräumen verfügbar, damit man sich auch ja mit anderen treffen muss.

„Deswegen ist nach ein paar Monaten auch die Bier-Flatrate wieder verschwunden“, erzählt uns Parker Liebermann. Laut Parker hätten sich die Bewohner einfach nur ein kühles Getränk gezapft und seien damit auf ihr Apartment verschwunden. Das will man hier natürlich nicht. Es zählt der Zusammenhalt, das Netzwerken, der Austausch. Wie eine Familie sollen die WeLiver sein. So beschreiben viele unserer Mitbewohner und Mitbewohnerinnen die WeLive-Community tatsächlich auch. Man hilft sich bei Problemen und kümmert sich umeinander, wenn man krank ist. Uns hat eine ältere Dame beispielsweise den Tipp gegeben, Knoblauch in kleine Stücke zu schneiden und wie Tabletten zu schlucken, als wir krank auf dem Sofa vor ihrer Wohnungstür gearbeitet haben. Spoiler: Es ist gar nicht so schlimm, wie man denkt – und wir sind wieder gesund.

Oft erinnert uns das WeLive an ein Hostel. Nur deutlich teurer und deutlich schicker.

Wie wir aber alle wissen: Familie kann auch mal richtig nerven. So ist das hier auch. Leute lassen ihre Wäsche im Trockner liegen, obwohl sie schon längst trocken ist, Sportmatten werden nach der Benutzung nicht abgewischt und stinken. Verbrannte Töpfe werden in Gemeinschaftsküchen einfach zurück in den Schrank gestopft. Oft erinnert uns das WeLive an ein Hostel. Nur deutlich teurer und deutlich schicker.

So richtig neu ist das Co-Living-Konzept eigentlich nicht, es gibt viele Formen des Zusammenlebens: Wohngemeinschaften, Seniorenheime, Alters-WG’s. Eine Spur verbindlicher sind Kommunen, in denen man sich nicht nur den Wohnraum teilt, sondern auch gemeinsam wirtschaftet. Was das WeLive diesen Wohnformen voraus hat, ist definitiv die Unverbindlichkeit. Die Wohnungen sind monatlich mietbar und auch genauso schnell wieder kündbar. Davon machen hier auch einige Gebrauch. Vor drei Wochen stand Jarred mit gepacktem Rucksack vor uns. Es sei einfach mal Zeit für was anderes, hat er uns achselzuckend erzählt und das nächste Flugzeug nach San Francisco genommen. In New York ist diese flexible Mietdauer eine Seltenheit. Oft muss man sich auf mindestens ein Jahr festlegen.

Individualität vs. Flexibilität

Mit der Unverbindlichkeit geht aber auch ein Stück Individualität verloren, denn wer so schnell ein- und wieder auszieht – die durchschnittliche Wohndauer beträgt aktuell zwei Monate – für den lohnt es sich nicht, seine eigenen Möbel mitzunehmen. Zumal in den voll ausgestatteten Apartments auch nicht genug Platz für lange Bücherregale, geerbte Kunstwerke oder den großen Esstisch ist, an dem der ganze Freundeskreis Platz hat. Wie schade, denn wie man wohnt, ist immer auch ein Ausdruck der Persönlichkeit. Und wenn unsere Generation eins will, dann ja wohl individuell sein. Das ist auch der Grund, warum im neuen WeLive in Seattle auf eine minimale Möblierung zurückgefahren werden soll. „Die Leute wollen selbst entscheiden, was in ihrer Wohnung steht“, sagt Parker Lieberman.

Am Ende ist man doch nur Gast

Warum Co-Living trotzdem für viele attraktiv ist, hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass Auto, Haus und Familie in der jüngeren Generation nicht mehr die Statussymbole sind, auf die hingearbeitet wird. Zumindest löst es sich immer mehr auf. Stattdessen wünscht man sich Flexibilität – egal, ob es um den Arbeitsplatz oder den Wohnort geht. Wer weiß schon, was in einem, geschweige denn fünf Jahren sein wird?

Aber sind Co-Living-Angebote wie das WeLive deshalb die passende Lösung? Auch wenn sich die liebevoll eingerichteten Flure mit plüschigen Sesseln, witzigen Plakaten und Sprüchen wie „Vergiss deinen Schlüssel nicht“ auf der Wand neben dem Fahrstuhl, mittlerweile schon sehr nach zuhause anfühlen, am Ende bist du doch nur ein Gast. Die Bücher, die im Wohnzimmer stehen, sind eben nicht unsere persönlichen Lieblinge, sondern wurden von InteriordesignerInnen ausgesucht. Die schwarzen Tassen, auf denen „better live together“ draufsteht, versprühen auch eher Merchandise-Charakter, als heimelige Gemütlichkeit. Für einen kurzen Zeitraum, so wie unser Projekt, ist das WeLive optimal. Auf Dauer kann es aus unserer Sicht aber nicht die eigene Wohnung ersetzen.

Den Standard-WeLiver gibt es nicht

Das liegt auch am Aufbau der Wohnungen. Als WeLive gestartet ist, sind sie davon ausgegangen, dass hauptsächlich 21-28-Jährige Entrepreneurs und StudentInnen die voll möblierten Apartments anmieten würden. Deswegen gibt es viele kleinere Studios und Einzimmerwohnungen. In Apartments mit mehreren Räumen sind die Schlafzimmer eher klein. Komplett falsch lagen sie mit ihrer Zielgruppenanalyse auch nicht: Im Schnitt ist der WeLiver 27 Jahre alt. Aber bei weitem nicht alle: Da ist zum Beispiel die ältere Dame aus dem 17. Stock, die uns den Trick mit dem Knoblauch empfohlen hat. Sie und ihr Mann wollten sich nach dem Auszug ihrer fünf Kinder verkleinern und sind von einem Vorort wieder zurück nach Manhattan gezogen. Eine ähnliche Geschichte habe es auch in Washington D.C. gegeben, wie Parker Lieberman erzählt hat: „Ein Paar reist eine Hälfte des Jahres auf einem Boot um die Welt und lebt die anderen sechs Monate im WeLive.“ Auch nicht schlecht.

Irgendwann ist die Party einfach vorbei

Darauf müssen sie sich erstmal einstellen, sagt Lieberman. Deshalb planen sie die neuen Wohnungen in Seattle an solche Bedürfnisse anzupassen, in dem sie unterschiedliche Grundrisse entwerfen. Apropos Bedürfnisse: Neben uns wohnt ein Ehepaar aus Schweden, das bereits seit zwei Jahren mit zwei kleinen Kindern hier lebt und denen die vielen Parties und der Grasgeruch zu Beginn schon sehr zu schaffen gemacht haben. Mittlerweile habe sich das aber wieder gelegt. Wahrscheinlich der Unterschied zu einem Hostel. Irgendwann ist die Party einfach vorbei.

Die bittere Seite der süßen WeLive-Welt

Aber die Frage wird wohl weniger sein, ob wir uns das vorstellen, sondern eher, ob wir uns das zukünftig überhaupt aussuchen können? Die zunehmende Flexibilität, der schnelle Wechsel von Arbeitsplätzen und -orten aber auch steigende Mieten und fehlender Wohnraum werden das Thema Co-Living in den nächsten Jahren, ob wir wollen oder nicht, zu einem Topthema machen. Nicht nur für gutverdienende Dreißigjährige, die gerne mehr Sozialkontakte haben wollen und deren Business auf das Thema Netzwerken ausgelegt ist, sondern auch für RentnerInnen und Familien, die sich das Leben in teuren Städten nicht mehr leisten können. Das ist dann wohl die bittere Seite dieser so süßen WeLive-Welt.

Falls das Konzept spannend für euch ist, der Co-Living-Trend hat auch Europa bereits erreicht: in London betreibt das Start-up The Collective Old Oak seit Mai 2016 im Westen der Stadt ein riesiges Gebäude. In Deutschland hat Medici Living ein Modellprojekt in Berlin gestartet und Rent 24 hat ebenfalls mehrere Gebäude in Berlin und plant weitere Co-Living-Projekte in Chemnitz und Hamburg.

Sind wir drei uns hier im WeLive, in dem wir gewohnt und gearbeitet haben, auch mal richtig auf die Nerven gegangen? Ja. Würden wir für ein Projekt zurück ins WeLive kommen? Definitiv. Werden wir unsere Zeit zusammen, New York, diesen Blog und euch LeserInnen vermissen? Ja. Ja. Ja!

Was wir ansonsten noch über unsere Zeit im WeLive zu sagen haben, lest ihr hier.

Fotos: Johanna Röhr

Johanna Röhr
Johanna arbeitet im Social-Media-Team von Spiegel Online und ist Dozentin für Rhetorik an der Uni Passau, hat aber auch schon als Stadionmoderatorin der Frauenmannschaft des FC Bayern gearbeitet. Zudem ist sie Autorin eines Münchner Stadtführers. Was sie liebt: Roger Federer, Federweißer, Federball – und federleichte Alliteration (so sorry). Was sie hasst: nachdenkliche Sprüche auf Sonnenuntergangsbildern.
Johanna Ronsdorf
Johanna hat mal in einer Band gesungen, die unter anderem auf Hochzeiten auftrat. Für WeltN24 hat sie schon Sigmar Gabriel interviewt, für Edition F Advertorials geschrieben und Webinare moderiert, auf Fink.Hamburg Reportagen veröffentlicht und bei der International Justice Mission in Washington D.C. dafür gesorgt, dass mehr Menschen davon erfahren, dass Sklaverei noch immer ein Problem ist.