In unserer Serie „Around The Work“ stellen wir Menschen und ihre Berufe vor. Dieses Mal haben wir uns mit Moritz, freier Wirtschaftsjournalist beim Hessischen Rundfunk, getroffen. Warum wir alle viel mehr über Geld sprechen sollten, wieso er seinen Beruf so liebt – und wie ihn „dieses Internet“ zu uns geführt hat.
Direktnachricht über Instagram. 4. Mai, 19:25 Uhr – „Hello Johanna! Habe euch heute auf der Brooklyn Bridge gesehen, aber ihr wart zu schnell. Wollte euch noch zurufen ‚cooles Projekt’! Liebe Grüße Moritz.“
Erster Gedanke: Was soll das denn für ein seltsamer Zufall sein: Ein Deutscher, der uns auf Instagram folgt und uns nach nur einer Woche in New York zufällig auf der Brooklyn Bridge erkennt?
Zweiter Gedanke: Das mit dem berühmt werden in New York ging aber schnell.
Dritter Gedanke: Lass uns doch mal treffen!
Zwei Tage später sitzen wir in einem kleinen Café im Financial District und warten auf Moritz. Moritz ist freier Wirtschaftsredakteur beim Hessischen Rundfunk und besucht gerade einen Freund in New York. „Ich bin ein offenes Buch, was meinen Beruf betrifft“, schrieb er uns vor dem Treffen. Klingt gut.
„Wenn ich sehe, dass das Word 2007-Seminar wieder angeboten wird, dann kriege ich einen Weinkrampf.“
Die untergehende Sonne gießt New York in ein warmes Licht, als Moritz das Café in der Wall Street betritt. Das Thermometer zeigt noch über 20 Grad. Die hellen Holztische sind dicht aneinander gestellt, er setzt sich auf einen der silbernen Metallstühle. „Wenn ich bei uns im Intranet sehe, dass das Word 2007-Seminar wieder angeboten wird, dann kriege ich einen Weinkrampf“, sagt Moritz mit einem Schmunzeln, das nur Augenblicke später zu einem strahlenden Lächeln wird. „Es scheint immer noch Menschen zu geben, die Word 2007 brauchen – und es noch dazu nicht können. Diese Leute brauchst du dann auch nicht in Social Media schulen“, sagt er. „Auch das ist Realität 2018.“
Ich habe richtig Bock auf die Zukunft.
Schon mit 16 wusste Moritz, dass er Journalist werden will. Seitdem habe sich viel in der Branche verändert. „Plötzlich musst du von Drehs auch Fotos für Social Media mitbringen.“ Für viele seiner älteren Kollegen sei das ein echtes Problem. Sie sehen es als Zusatzarbeit, die nicht bezahlt wird. Moritz kann die Situation seiner Kollegen gut nachvollziehen, für ihn ist diese „Zusatzarbeit“ jedoch selbstverständlich: „Ich habe richtig Bock auf die Digitalisierung. Und die Zukunft“, sagt er. Seine grünen Augen leuchten, wenn er spricht. Natürlich weiß er, dass die Veränderungen auch Probleme mit sich bringen werden. Unternehmen müssen sich zum Beispiel ganz genau überlegen, wie sie ihre Mitarbeiter mitnehmen können. Angst machen ihm diese Entwicklungen aber nicht: „Wenn du als Journalist ein guter Geschichtenerzähler bist, wird es deinen Job immer geben. In welcher Form auch immer.“
Ich ruhe mich nicht aus und denke: ‚Ich bin ja ein digital native’!
Seine Liebe für den Journalismus nimmt man ihm sofort ab. „Als Journalist trifft man immer neue, spannende Menschen, kann tolle Geschichten erzählen und Sachen machen, die sonst keiner darf.“ Mit dem weißen Baumwollshirt über seiner gebräunten Haut, der dunkelblauen Cap und seinem bubenhaften Lachen sieht er nicht aus wie der klassische Wirtschaftsredakteur. Zumindest nicht wie das Klischee in unseren Köpfen. „Ich ruhe mich nicht aus und denke: ‚Ich bin ja ein digital native’“. Moritz macht sich Gedanken über die Zukunft seiner Arbeit, aber er hat kein konkretes Konzept, mit dem er immer auf dem neusten Stand bleibt. „Ich gehe einfach mit offenen Augen durch die Welt. Wie jeder Journalist.“
Seine ersten journalistischen Erfahrungen machte Moritz als Praktikant bei RTL und der Frankfurter Rundschau. Danach arbeitete er als freier Journalist und finanzierte so sein Literaturstudium. „Mein journalistischer Werdegang verlief eher klassisch“, sagt er. Klassisch schwer, könnte man auch sagen: Auf einen Platz in der Journalistenschule von RTL bewerben sich 800 Leute und nur 30 werden genommen. Auch Moritz bewarb sich und kam in die letzte Runde. Er wurde trotzdem nicht genommen.
Es war der Versuch, selbstbewusst zu sein – und darüber bin ich hinausgeschossen.
Warum es nicht geklappt hat? Wenn Moritz über eine Frage nachdenkt, schaut er seinem Gegenüber ins Gesicht, anstatt dem Blick auszuweichen. „Es ist hart bei so einem Auswahltag. Du sitzt zu dritt vor 15 Leuten, die dich bewerten – da sitzen dann bekannte Gesichter wie Steffen Hallaschka oder Peter Kloeppel“, sagt er. „Du musst dann versuchen rauszustechen, ohne arrogant zu wirken. Das habe ich nicht geschafft. Es war der Versuch, selbstbewusst zu sein und darüber bin ich hinausgeschossen.“ Das offene Buch, das er uns vor dem Treffen angekündigt hat, war kein leeres Versprechen. „Es ist deprimierend, wenn du dich für acht Volo-Stellen bewirbst und von sieben eine Absage bekommst.“ Damals bewarb er sich auch auf ein Volontariat beim HR – und wurde abgelehnt. Heute arbeitet er dort als freier Redakteur.
Was ist schon ein „guter Job“?
Dass er dort frei arbeitet und nicht fest angestellt ist, stört ihn nicht. Im Gegenteil, für ihn bedeutet das Freiheit. Seine Einstellung zu dieser Anstellungsform habe aber nicht unbedingt etwas mit seinem Alter zu tun, findet er. Auch in seiner Familie gäbe es da unterschiedliche Vorstellungen. „Meine Schwester ist sechs Jahre jünger als ich und sehr froh, bei der Deutschen Rentenversicherung zu arbeiten. Das versteht sie unter einem guten Job.“
Wir dürfen das, was Gewerkschaften hart erkämpft haben, nicht leichtfertig hergeben
„Vor allem jüngere Generationen müssen sich davon freimachen, dass sie nur einen Job ihr ganzes Leben lang haben oder nur in einem Unternehmen arbeiten werden.“ Auch Arbeitsverhältnisse werden seiner Meinung nach noch offener und freier. „Da muss man dann aufpassen, dass wir das, was Gewerkschaften mal hart erkämpft haben, nicht leichtfertig wieder hergeben. Weil wir es nur so kennen und denken, es sei toll so!“
Wer über die Zukunft der Arbeit spricht, kommt an dem unsexy Thema Rente natürlich nicht vorbei. „Einmal im Jahr bekomme ich meinen Rentenbescheid zugeschickt und denke: ‚ja, schade.’“ Aber natürlich kümmert er sich (zur Erinnerung: Er ist Wirtschaftsjournalist) um sein Geld. „Über meine Rente mache ich mir aber definitiv viel zu wenig Gedanken.“ Von einer großen Pension gehe er aber sowieso nicht aus. Gleichzeitig stört es ihn, dass Geld so ein Tabuthema in Deutschland ist. „Ich finde, wir müssen viel mehr über Geld und Gehälter sprechen“, sagt er. Schließlich habe man keine Verhandlungsposition, wenn man nicht wisse, was innerhalb der eigenen Branche oder im Unternehmen möglich sei. Auch in diesem Zusammenhang ist er ein offenes Buch.
Wenn ein Arzt denkt: ‚Ich versuche das heute mal andersherum rauszuschneiden’, dann ist das eine scheiß Idee.
Zum Abschluss hat er noch einen weiteren Tipp an junge Journalisten: Traut euch! „Schließlich kann in dem Job nicht so viel passieren“, sagt er. Immerhin hängen da keine Menschenleben dran. „Wenn ein Arzt denkt: ‚Ich versuche das heute mal andersherum rauszuschneiden’, dann ist das eine scheiß Idee. Aber als Journalist zu denken: ‚Ich versuche heute mal die Geschichte andersherum zu erzählen’, könnte klappen.“
Als wir aus dem Café treten, ist es schon dunkel. Ein kühler Wind streicht um die Häuser. Ob er uns wirklich auf der Brooklyn Bridge gesehen hat, wollen wir wissen. „Ich habe einen Tag vorher eure Story auf Instagram gesehen. Ihr wart in Williamsburg, Brooklyn unterwegs.“ Er war schon ein paar Mal in New York. Doch ins Künstlerviertel Williamsburg auf der anderen Seite des East River hatte er es bislang noch nicht geschafft. „Auf dem Rückweg seid ihr mir dann zufällig auf der Brooklyn Bridge entgegengekommen.“ Noch am gleichen Abend habe er sich dann hingesetzt und gedacht: „Ach komm, ich schreib den Dreien jetzt einfach.“ Ob am Ende eher unser erster oder zweiter Gedanke richtig war, wissen wir nicht. Vielleicht eine Mischung aus beiden. Der dritte Gedanke war auf jeden Fall sehr richtig. Ein Hoch auf die Digitalisierung! <3
Fotos: Johanna Röhr
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